Tangstedts Hof Trau
Landwirtschaft seit fünf Generationen
Februar 2020: Eine der neun Eichen auf dem Hofplatz war nicht mehr zu retten, und nachdem die Säge wieder schwieg, konnte man auf dem Baumstumpf 105 Jahresringe zählen, mindestens. Klarer Fall: Es war eine der Eichen, die Diedrich Trau dort als Keimlinge gesetzt hatte, nachdem er 1904 aus Niedersachsen gekommen und mit seiner Frau Marie in das Haus auf der windigen Anhöhe an der Dorfstraße gezogen war. Der Hof Trau war geboren, die Landwirtschaft begann.
Altbauer Franz Trau (89) und seine Frau Waltraud wissen heute zu erzählen, dass es ab 1780 dort zwar erste Gebäude gab, aber noch ohne zugehörige Landflächen. Und wovon lebten die damaligen Bewohner? Als sogenannte „Botterbuern“ kauften sie den Bauern der Umgebung ihre Erzeugnisse ab und verkauften sie weiter auf den Hamburger Märkten.
Ab 1860 soll dann ein Weber in diesem Haus sein Auskommen gehabt haben, kaufte auch etwas Land dazu, kam aber 1890 gewaltsam um, weil umherziehende Gauner es auf seinen Wohlstand abgesehen hatten. Der Sohn verkaufte schließlich 1904 an Diedrich Trau. Er hielt sich und die Familie als Bauer über Wasser, knapp, aber mit Energie und Zuversicht. Ein altes Foto zeigt ein Trau(m)paar, das Optimismus und Kraft ausstrahlt. Ob sie wohl auch einmal Detlev von Liliencron begegnet sind, der 1908 in seinem letzten Buch Tangstedt literarisch verewigt hat?
Auf dem Schoß der Mutter sitzt der vermutlich frisch getaufte Johann Trau, der den Hof in den 1930er Jahren übernahm. Da waren aus den Eichensetzlingen neben dem Haus schon richtige Bäume geworden. Bis heute sind sie eine Schatten spendende Augenweide, prägen das Bild des Hofes und blicken mit ihren über 100 Jahren unter der Rinde auf das Küken der Familie herab: Hofhündin Nuka, eine Parson Russell-Terrierin. Wenn der facebook-Eintrag nicht trügt, steht im kommenden August der erste Geburtstag an. Auch sie kann auf tüchtige Vorfahren verweisen: Die Hunde aus der Zucht von Jack Russel im 19. Jahrhundert waren begehrte Spitzenkräfte bei der Fuchsjagd und brachten es sogar zu einer eigenen Rassebezeichnung. Sie wollen gefordert werden hinsichtlich Körpereinsatz und Köpfchen, gelten als intelligent, arbeitsfreudig, unerschrocken und freundlich. So sagen die Fachleute. Und da ist Nuka doch auf diesem Hof in bester Umgebung, denn ohne diese Eigenschaften lässt sich ein Bauernhof nicht über fünf Generationen am Leben halten und durch manch harte Zeit führen.
Klagloses Wirtschaften
Als mein Vater Anfang der 1960er Jahre nach dem Grundstückskauf mit mir an der Hand das Dorf erkundete, kam er mit Johann Trau ins Gespräch. Mein Vater hatte ein Holzbein, Johann Trau bewegte sich auf Krücken. Zu hören, dass dieser Landwirt mit 14 Jahren durch eine offene Luke des Heubodens in ein Leben auf defekten Beinen fiel, hat mich als Junge stark beeindruckt. Und erst recht, dass er nun in bester Stimmung Zeit für einen Klönschnack über den Hof hatte, ohne Bitterkeit oder ein Wort der Klage.
Wer Landwirte erleben möchte, die sich beklagen, war auf diesem Hof schon immer an der falschen Adresse und sollte stattdessen vielleicht lieber den Verbandsfunktionären zuhören. Franz Trau sagt rückblickend: Man musste eben darauf eingestellt sein, dass die Jahre unterschiedlich ertragreich ausfallen. Selbst das Dürrehalbjahr 1976, als hier alles gelbgrau vertrocknet war, konnte abgewettert werden. Das Jammern wurde denen überlassen, die sich bereitwillig verschuldet hatten und hinter finanzieller Unterstützung her waren. Sorgsames Wirtschaften und ein gesundes Misstrauen gegenüber manch windigen Versprechungen von Handelsvertretern oder Maklern: In den Augen von Franz Trau gehört das bis heute zu den wichtigsten Grundsätzen.
Eicheln in der Jackentasche
Um 1904 sah einiges im Dorf deutlich anders aus als heute, das ist uns klar und betrifft natürlich die noch spärliche Bebauung oder die Fuhrwerke, unterwegs mit hufklappernden PS auf brutalem Kopfsteinpflaster. Aber auch Felder und Knicks gaben ein anderes Bild. In der stets nassen Senke hinter dem Hof zum Wald hin lag ein (sehr) kleiner See, der sogar auf alten Messtischblättern der „Königlich-Preussischen Landesaufnahme“ eingezeichnet war. Dessen Entwässerung gelang erst, als ein Bagger einen Graben mit ausreichender Tiefe aushob, was der an den Hof anschließenden Weidefläche zu Gute kam.
Viele Felder waren von Erdwällen ohne großen Baumbestand umgrenzt, auf denen teilweise Heidekraut und Blaubeeren wuchsen. Bauern wie Trau oder Sellhorn brachten gezielt Eicheln in den Boden, damit die Wälle zu ihren Bäumen kamen. Heute sind die Knicks ohne prächtige Eichen kaum mehr vorstellbar. Da war mit Weitblick Landschaftspflege und Holzwirtschaft für den Eigenbedarf betrieben worden. Spaziert man heute den schräg-parallel zur B 432 verlaufenden Melkerweg entlang und passiert alle 20 Schritte eine Eiche, mag vor dem geistigen Auge ein Bauer aus alter Zeit erscheinen, die Jackentasche voller Eicheln, der mehrere Jahrzehnte vorausdachte.
Vielfach wird heute für Blühstreifen an den Feldrändern plädiert, um die Insekten- und Vogelwelt zu schützen. Sieht ein Landwirt das eventuell kritisch, weil es den Ertrag eines Feldes mindert? Franz Trau hat dazu eine klare Meinung: Das kann man durchaus machen. Allerdings darf man sich keine ungeeigneten Saatmischungen aufschwatzen lassen, denn nicht überall gedeiht alles gleich gut. Unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten und knapper Lichteinfall an den schattigen Rändern der Knicks machen es einem nicht leicht.
Lebensfähig
Kartoffeln immer, Rüben manchmal, Schweine früher, Milch und Eier: Das waren über viele Jahre die wichtigsten Erzeugnisse des Hofes. Für die Milch hat es immer gut und verlässlich zahlende Abnehmer gegeben, das war ein großes Glück. Zehn Kühe waren für den Hof gut zu halten, für eine größere Herde hätte man zusätzlich „Schweizer“ benötigt. Wie bitte? Ja: Schweizer, also Melker. Diese Bezeichnung kam zustande, weil sich damals in der Milchverarbeitung Experten aus der Schweiz hervorgetan hatten. Kühe gibt es bis heute auf dem Hof, aber nur Jungrinder. Bis zu einem Schlachtgewicht von rund 300 Kilogramm. Milchwirtschaft spielt schon lange keine Rolle mehr.
Als Helmut und Anke Trau 1996 den Hof übernahmen, sagten Experten, dass der Hof nicht überlebensfähig sei. Seit Jahrzehnten schon nimmt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ab. 1971 gab es gut eine Million Betriebe mit einer Landfläche von jeweils mehr als fünf Hektar (50.000 qm), im Jahr 2018 waren es nur noch 267.700. Eine Studie der DZ Bank AG prognostiziert, dass es in 20 Jahren nur noch 100.000 sein werden. Der Trend geht dabei weiterhin zu größeren Höfen mit einer Landfläche von über 100 Hektar. Wer bei solchen Rahmenbedingungen einen nicht sehr großen Familienbetrieb am Laufen halten konnte, muss Vieles richtig gemacht haben. Der Hof Trau lebt weiter, man darf achtungsvoll den Hut ziehen. Und die nächste Generation kann übernehmen, Sebastian und Dörte Trau werden den Hof durchs neue Jahrzehnt führen.
Was würde wohl der Hofgründer Diedrich Trau denken, wenn er erleben könnte, wie Sebastian Trau mit einer Drohne die Wiesen vor dem Heuschnitt abfliegt, um Rehkitze zu schützen? Und mit einem kraftstrotzenden Traktor von Deutz-Fahr unterwegs ist, vollgestopft mit leistungsfähiger Spezialtechnik, kein Vergleich zu dem vor 100 Jahren entwickelten Lanz HP Acker-Bulldog mit zwölf PS? Wenn er vom Hof des Jahres 2020 wüsste, mit der florierenden Direktvermarktung von Eiern, Kartoffeln, Rindfleisch, Suppenhühnern, Honig, Gewürzmischungen und Nudeln? Den großen Zulauf beim Weihnachtsmarkt auf dem Hof beobachten könnte? Und die facebook-Seite „Hof Trau Direktvermarktung“ lesen würde mit hunderten Abonnenten? Stolz wäre er auf seine Nachfolger, keine Frage.
Wolfgang Wunstorf