Schlusslicht

9. Dezember 2020

Das bisschen Papier und Plastik…

Es war nur ein kurzer Moment der Unachtsamkeit. Beim Einkaufen war sie noch da, an der Tankstelle plötzlich weg: die Brieftasche. Weder im Laden noch bei den Behörden tauschte sie auf, auch eine fast schon forensische Suche im gesamten Auto brachte nichts. Und plötzlich ist einem bewusst, was man da eigentlich mit sich trägt: die paar Plastikkarten und lappigen Papierstücke, die man sonst kaum zur Kenntnis oder einfach als selbstverständlich nimmt.

Gut, EC- und Kreditkarten kann man heutzutage einfach sperren, telefonisch oder auch online. Doch das ist erst der Anfang: Zum Neubeantragen hat jede Bank ein eigenes Verfahren, man arbeite sich durch Menüs, Sicherheitsabfragen und Formulare. Für einige ist auch das persönliche Erscheinen in der Filiale notwendig. Und weil man doch gerade da sei: Da gäbe es tolle Versicherungs- und Anlageangebote …

Dann haben die Plastikkarten auch noch ihr virtuelles Pendant: Die darauf eingeprägten Zahlen dienen zur Zahlung von Abos, Dienstleistungen, Cloudspeicherung. In dem Moment, in dem ihr reales Gegenstück verlustig geht, verschwindet auch das digitale Zahlungsmittel aus dem Netz und muss durch ein neues ersetzt werden. Leider merkt man das manchmal erst dann, wenn die Zahlung nicht durchging und böse E-Mails eintrudeln.

Nun habe ich nach einer ähnlichen Erfahrung, als jemand die Enge eines HVV-Busses nutzte, mich von meiner Brieftasche zu trennen, einige wenige Karten und etwas Bargeld in die Handyhülle ausgelagert, so dass ich nicht völlig hilflos war. Zum Ausweisen blieb ein, wie ich bei dieser Gelegenheit feststellen musste, allerdings abgelaufener, Reisepass. Also: unauffällig benehmen, immer extragenau nach der StVO fahren, damit man nicht in Verlegenheit kommt, den Verlust der papiernen Identität zugeben zu müssen.

Doch wie verfährt man bei behördlichen Dokumenten? Mit Grausen kommt da die Erinnerung hoch, als kürzlich ein verlorener Kfz-Schein ersetzt werden musste. Erst dauerte es mehrere Wochen, bis es einen mit den Arbeitszeiten kompatiblen Termin beim Amt gab. Und dann war noch ein zweiter Besuch notwendig, da das vorher aus dem Internet heruntergeladene und ausgefüllte Formular zwar alle notwendigen Informationen enthielt, jedoch nicht in der von dieser Behörde vorgesehenen Reihenfolge.

Das alles nochmal für sämtliche amtlichen Dokumente durchmachen? Da half zum Glück ein Tipp aus dem lokalen Bürgeramt: Einfach mal abwarten, nicht selten tauchen Papiere doch noch wieder auf, und das spare beiden Seiten Arbeit. Tatsächlich wurde die Brieftasche von irgendjemanden in einen Briefkasten der Deutschen Post eingeworfen, die sie mir umgehend und kostenlos zustellte, was mir so manches anderes Versäumnis dieses Unternehmens in letzter Zeit mehr als wett machte.

Zwar war das Bargeld abgesehen von einem Zwei-Cent-Stück weg, aber dafür der gesamte andere Inhalt noch da – inklusiv einiger Dokumente, deren Existenz ich, obwohl ich sie jahrelang bei mir getragen hatte, ganz vergessen hatte. Und jetzt überlege ich, ob ich mich mit einem von üblicherweise in schwarzes Leder gewandeten Menschen bevorzugten Brieftaschenmodell anfreunden kann, das mit einer schweren Kette an der Hose befestigt wird.

Wulf Rohwedder