Kirche

20. Dezember 2021

Wir hüten den Strohballen

Pastor Fahrs Worte

Diese schönen rechteckigen Strohballen, die früher sorgfältig gestapelt auf Anhängern vom Feld in die Scheune gefahren wurden, findet man heutzutage nur noch selten. Auf den Feldern sieht man höchstens diese riesigen Rollen, übermannshoch – und die sind oftmals in Plastiknetze gewickelt, damit sie von der Witterung nicht zu schnell in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Industrialisierung verschlingt die – vermeintliche – Idylle, die es vermutlich so nie gab.

Die Kirchengemeinden, die noch einen kleinen rechteckigen Strohballen haben – vielleicht auch Heu –, müssen ihn jahrelang hüten, wenn sie ihn für den Altarschmuck an Erntedank verwenden wollen – oder auch zu anderen Gelegenheiten.

Eigentlich ist Stroh ja nur Abfall. Der Rest vom Dreschen. Essen kann man es nicht – und als Futter für das Vieh ist Stroh auch nur eine Notlösung. Aber ansonsten ist Stroh eine sehr feine Sache. Man kann allerlei damit anfangen. Man kann damit Fachwerkhäuser gegen Kälte und Hitze schützen. Heute braucht man es allerdings nicht mehr als Dämmmaterial. Man kann die besonders intakten Halme aber auch – nun, der Name sagt es schon – als Strohhalme, als Trinkhalme verwenden. Man kann es aber vor allem als Unterlage für Vieh verwenden, als Lagerplatz, damit die anvertrauten Kreaturen einigermaßen bequem liegen, nicht nur als Milch-, Fleisch-, Wolllieferanten gebraucht werden, sondern von denen, die für sie verantwortlich sind, rücksichtsvoll und mitfühlend gehalten werden. Das Thema ist und bleibt aktuell. Natürlich ist es wesentlich umständlicher Ställe manuell auszumisten als Betonraster einfach abzuspritzen – und die Gülle läuft unten davon. Das ist dann für die Anforderungen unseres Fleischkonsums deutlich rationeller und billiger. Aber auf Stroh liegt so eine Kuh, ein Schwein, ein Schaf, eine Ziege dann vielleicht doch etwas besser.

Für uns Menschen ist ein Strohsack als Unterlage zum Schlafen oder auch nur zum Ruhen definitiv nicht die bequemste Lösung, denn Stroh piekt ungemein. Nun gut, ehe man erfriert, aber schön ist es nicht.

„Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh“ – na, das müssen ja sparsame Verhältnisse gewesen sein … ein Baby ohne Bettchen.

Nun, eigentlich wollten wir es uns endlich einmal wieder gut gehen lassen, Advent und Weihnachten so richtig genießen; und wir hatten schon gehofft, die Pandemie sei vorbei – doch weit gefehlt. Es ist schlimmer als je – und dann kommen auch noch allenthalben Briefe von wohltätigen Organisationen eingetrudelt. Das alles kann schon gewaltig nerven.
Und nun will man uns allen Ernstes weismachen, es hätte für uns irgendeine Bedeutung, dass da in einem fernen Land ein kleines Neugeborenes in einem Stall auf Stroh gebettet wird.
Wie ein Tierchen. Irgendso ein Vieh. Normalerweise ist das einfach nur armselig. Zu Weihnachten ist es ein Skandal. Denn es ist eigentlich das Unfestlichste, was man sich vorstellen kann.
Und das soll dann irgendwas mit Gott, irgendwas mit meinem Glauben, irgendwas mit – tja – irgendwas mit mir zu tun haben.

Ausgerechnet diese Szene.

Das ist mehr als ein Skandal. Das ist eine Zumutung für uns, die wir uns nach Erlösung, nach Freiheit, nach Erhabenheit, nach Licht und Leben sehnen. Und was wird uns geboten? Ein Baby im Stall!

Wir haben uns – auch nach 2000 Jahren – offensichtlich noch immer nicht daran gewöhnt, dass Gott nicht einfach nur der große Herrscher und Schöpfer oben im Himmel ist, sondern der unerwartete Gott ganz unten. Aus „oben“ wird „unten“, damit aus Stroh Sterne werden können. Dann wird vielleicht „unten“ das neue „oben“.

Peter Fahr