Heim kino
Annekes (Ent-)Spannungstipps
Die Tage werden wieder länger, aber Zeit für Filme und Serien ist noch dicke da. Falls Sie demnächst vor der schwierigen Qual der Wahl stehen sollten,
welches Fernsehentertainment Sie sich gönnen möchten, hier ein paar Tipps für ihr Heimkino – nicht alles unbedingt brandneu und frisch auf der Streamingtheke, aber allemal ein Sehen wert.
Verdammt lustig und wunderbar ‚cringe‘ ist die Serie Die Discounter, welche Sie auf Prime finden können und welche von Christian Ulmens Pyjama Pictures produziert wird. Die Discounter spielt in einem Altonaer Supermarkt und wird von drei Hamburger 22-Jährigen angeleitet, die extrem gelungene sowie humorvolle Regiearbeit leisten und auch selbst in der Serie mitspielen. Die Mockumentary, die viel auf Improvisation setzt, basiert zwar auf der niederländischen Serie Vakkenfuller, zeigt aber ganz ohne Frage ein sehr hohes Maß an hamburgischem Eigencharme. Viel peinlich berührte Stimmung, wohlmeinende Hängengebliebene, Träumer und Wichtigtuer sowie ein Haufen Missverständnisse sind Grundsteine der extrem unterhaltsamen Handlungsstränge und liebevollen Charakterisierungen. Die Besetzung ist hierbei zu gleichen Teilen glaubwürdig, herzerwärmend, herrlich peinlich und lustig. Herausstechende Namen im Cast sind u.a. Nura Habib Omer (die Leser:innen vor allem als Aktivistin, Autorin und Rapperin Nura bekannt sein dürfte), Marc Hosemann (Oh Boy, Der Palast), David Ali Rashed (Tribes of Europa), Bruno Alexander (spielte z.B. Boris Becker im Biopic und ist einer der Regisseure dieser Serie), Ludger Bökelmann (Dark) und die vielen überraschenden Gastauftritte. So zum Beispiel vom bekannten Schauspieler Fahri Yardım (Almanya – Willkommen in Deutschland, jerks.) gleich in der ersten, und dann von Comedian Buddy Ogün in der zweiten Folge.
Übrigens, wo wir beim Genre der Mockumentary sind: Das US-amerikanische Pendant zu Stromberg, welches auf Deutsch Das Büro heißt und welches ebenso wie Stromberg auf der britischen Serie The Office von Stephen Merchant und Ricky Gervais basiert, gibt es seit Januar auf Netflix. In eine etwas andere Richtung geht die wunderbar lautlachwürdige Mockumentary-Serie What We Do In The Shadows, basierend auf dem gleichnamigen Film von Taika Waititi und Jemaine Clement. Diese Serie über eine Gruppe von liebenswert-bösartigen Vampiren auf der Suche nach Erfüllung, Blut und dem nächsten Kick gibt es bei Disney+.
Ebenfalls bei Disney+ steht für Fans von True Crime, Mystery sowie Selena Gomez und den Comedylegenden Steven Martin und Martin Short Only Murders in the Building (2021-) bereit. Erdacht (und über weite Teile geschrieben) wurde diese spannende, lustige, handlungsdichte, stylische und zugleich herzliche Serie von Steve Martin und John Hoffman, der unter anderem für die Serie Looking (2014-15) schrieb. Es geht um ein ungleiches Trio (bestehend aus genannten Hauptdarstellern), die sich aufgrund ihrer geteilten Faszination für True-Crime-Podcasts dazu entschließen, selbst einen zu machen – und gleichzeitig einen kürzlich geschehenen Mord in ihrem Wohnhaus aufzuklären. Die Serie sieht toll aus und das generationenübergreifende Cast harmoniert vortrefflich. Auch die Regie ist nicht zu verachten. So spielt sich z.B. (kleiner Spoileralert!) eine der zehn Folgen fast vollständig ohne Worte und intradiegetischen Ton ab, doch wirkt dies keinesfalls aufgesetzt oder irritierend, sondern gänzlich authentisch auf Grundlage der Perspektive, von der hier erzählt wird. Mehr Informationen zu geben, sollte ich mir wegen des Sehvergnügens verkneifen. Falls Sie Knives Out, The Flight Attendant und Veronica Mars mochten, sollten Sie sich diese Serie nicht entgehen lassen.
Auf Prime finden Sie die romantische Comedy/Drama-Serie Pushing Daisies (2007-2009) mit Lee Pace, Anna Friel, Chi McBride und Kristin Chenoweth in den Hauptrollen. Creator der Serie ist der vielseitige US-amerikanische Produzent und Fernsehautor Bryan Fuller, der sich auch für Dead Like Me, Hannibal und American Gods verantwortlich zeigt. Falls Ihnen Hannibal zu blutig war, müssen Sie sich aber keine Gedanken machen, dass Pushing Daisies in ein ähnliches Raster fällt. Zwar spielt der Tod auch hier eine große Rolle, doch auf eine andere, nicht-kannibalistische Art. Ned ist ein Bäcker, der tote Dinge durch eine Berührung wieder zum Leben erwecken kann. Doch kommt dieses Talent nicht ohne Konsequenzen daher. Zusammen mit den restlichen charmanten Hauptcharakteren nutzt er seine Fähigkeit, um Mordfälle aufzulösen. Die Serie ist niedlich, romantisch, ‚quirky‘, unterhaltsam, lustig und dabei tatsächlich auch spannend. Besondere Aufmerksamkeit verdient außerdem die Ästhetik in Kombination mit den liebevollen Charakterisierungen und Dialogen. Denn die Serie wirkt wie ein zum Leben erwecktes Bilderbuch im Sinne von Dr. Seuss. Übrigens gewann Pushing Daisies 2015 – also ganze sechs Jahre nachdem die Serie abgesetzt wurde – die Fanabstimmung von Esquire, welche Serie am liebsten ein Reboot erfahren sollte, da Fans sie vermissten. Sollten Sie die Filme von Wes Anderson, Eureka und Dirk Gentlys Holistische Detektei mögen, sollten Sie auch dieser Serie eine Chance geben.
Wind River (2017) ist ein außerordentlich spannender, sozial schrecklich relevanter, brisanter, extrem gelungener Krimi/Thriller/Neo-Western von Taylor Sheridan, der sowohl das Drehbuch schrieb als auch Regie führte. Er schrieb diesen Film als dritten und finalen Teil seiner anthologischen American-Frontier-Trilogie, zu der außerdem Sicario (bei dem Denis Villeneuve Regie führte) und Hell or High Water (Regie: David Mackenzie) gehören. Im kalten, rohen Wind River Reservat, wo –von der US-amerikanischen Regierung verdrängt— Angehörige der Shoshone und Arapaho leben, geschieht ein furchtbarer Mord. Die junge Natalie wird vergewaltigt und stirbt im Schnee nachdem sie kilometerweit barfuß durch die Kälte zu flüchten versuchte. Da der Tod einer indigenen Frau die offiziellen US-Behörden wenig interessiert, schicken sie lediglich die unerfahrene, unvorbereitete und nicht ausgerüstete FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) als Ermittlerin ins Reservat. Vor Ort bittet sie Cory Lambert (Jeremy Renner) um Hilfe. Lambert ist ein weißer Wildhüter, der im Reservat arbeitet und bis vor Kurzem mit der Indigenen Wilma (Julia Jones) verheiratet war. Lambert entdeckte die junge Tote, ist sehr ortskundig und selbst höchstgradig interessiert an der Auflösung des Falls – die Tote war die beste Freundin seiner und Wilmas toten Tochter, die ebenfalls Opfer eines ungeklärten Gewaltverbrechens wurde. Verbrechen können im Rerservat wegen quasi inexistenter staatlicher Unterstützung selten aufgeklärt werden. An diesem Ort herrschen Perspektivlosigkeit und Armut vor. Banner und Lambert, unterstützt vom engagierten Tribal Police Chief Ben Shoyo (Graham Greene) und seinem Team, ermitteln. Zwar drängt sich beim Sehen durchaus die Frage auf, warum ein Film, der sich thematisch um das aktive, mutwillige, fürchterliche Versagen der US-amerikanischen Regierung im Umgang mit der amerikanischen indigenen Bevölkerung dreht, fast ausschließlich aus der Perspektive von zwei Weißen erzählt wird. Jedoch ist der Film trotzdem ohne Frage eine ambitionierte und gelungene Sozialkritik sowie ein spannender Thriller mit einer gesellschaftlich extrem wichtigen Message. Wind River steht Ihnen auf Netflix zur Verfügung.
Anneke Schewe