Rundblick

22. Juni 2020

Ich glaub‘, mich knutscht ein Reh

Sandra Hoffmann päppelt seit 20 Jahren ehrenamtlich
Wildtiere in Kayhude auf

Taco und Tequila haben Glück im Unglück. Die beiden flauschigen Marderbabys waren vom Heuboden eines Reitstalls in Kisdorf gefallen; eines der etwa fünf Wochen alten Jungtiere verletzte sich beim Sturz schwer am Pfötchen. Nun dürfen die Tierkinder erst einmal bei Sandra Hoffmann in Ruhe zu Kräften kommen, werden gefüttert und umsorgt. Die 47-Jährige kümmert sich seit 20 Jahren um verletzte, angefahrene und verwaiste Wildtiere, die ihr von der Polizei, von Jägern und Bauern, aber auch von Privatpersonen aus ganz Norddeutschland gebracht werden.

 

© Claudia Blume

Sandra Hoffmann kümmert sich um verletzte, angefahrene und verwaiste Wildtiere wie Rehe und Marder. (© Claudia Blume)

 

Hinter ihrem Haus in Kayhude befinden sich diverse Volieren für tierische Gäste auf Zeit wie Greifvögel und Eichhörnchen sowie ein großer eingezäunter Auslauf, in dem einige Vierbeiner sogar dauerhaft leben. So wie Vanessa, die mittlerweile zur Familie zählt. Das Reh wurde vor einigen Jahren auf einem Acker mit einer Rapsvergiftung gefunden, die in der Folge irreparable Nervenschäden auslöste. „Vanessa kennt keine natürliche Distanz und liebt es, alles und jeden abzulecken“, erzählt Sandra Hoffmann lachend und wischt sich nach einem feuchten Reh-Schmatzer über die Wange.

Australien Shepherd-Hündin Martha entspannt mit Findel-Frischlingen.

 

Ob Uhu mit einem gebrochenen Bein, elternlose Fuchswelpen, deren Mutter erschossen wurde oder flügellahme Krähen, bei Familie Hoffmann werden pro Jahr rund 300 hilfebedürftige Tiere aufgenommen. Ehemann Dirk und drei Kinder sind ebenso engagiert und teilen die Badewanne schon mal mit acht Entenküken. Sogar die Hunde übernehmen wichtige Pflegearbeit. So tobt Australien Shepherd-Hündin Martha ausgelassen mit drei gestreiften Frischlingen durchs Wohnzimmer und die Cane Corso-Hündin Grey kümmert sich fürsorglich um Rehkitze und Feldhasen-Babys, die zwischen ihren imposanten Pfoten noch winziger als ohnehin aussehen.

„Wir leben keine verklärte Tierliebe, sondern halten den natürlichen Kreislauf in Takt. Jedes Tier hat seine Aufgabe in der Natur und ist unverschuldet und oft durch Menschen in Not gekommen“, erklärt Sandra Hoffmann. Etwa zwei Monate bleiben Findel- und Flaschenkinder, bevor sie ausgewildert oder in weitere Obhut gegeben werden. So übernimmt ein Jäger bei Mainz die Frischlinge in sein Gehege, einige Tiere gehen zur weiteren Versorgung in die Wildtierstation in Sparrieshoop, die größere Kapazitäten hat und eine von mehreren Institutionen bundesweit ist, mit denen die Kayhuder in einem großen Netzwerk zusammenarbeiten.

Die uneigennützige Arbeit ist zeit- und kostenintensiv. „Von den jährlichen Ausgaben könnten wir als fünfköpfige Familie einen zweiwöchigen Luxusurlaub machen“, räumt die Powerfrau ein und hat bereits weitere Pläne. Das Wildtiergehege soll vergrößert und um ein Feuchtbiotop erweitert werden. 1,5 Hektar verwildertes, vermülltes Gelände muss zuvor bearbeitet, eingezäunt und bepflanzt werden. „Das schaffen wir nicht alleine und hoffen daher auf Unterstützung in Form von Geld- und Materialspenden, Gutscheinen für Baumärkte oder als tatkräftige Hilfe bei der Umgestaltung des weitläufigen Areals“, wünscht sich Sandra Hoffmann. Damit noch mehr Tiere, die vorübergehend oder dauerhaft einen geschützten Lebensraum brauchen, artgerecht untergebracht werden können wie Vanessa, das knutschende Reh.

Etwa zwei Monate bleiben die plüschigen Gäste, bevor sie ausgewildert oder in weitere Obhut gegeben werden.

Claudia Blume