Trotz Handicap auf Titeljagd
Lemsahler startet bei der Tischtennis-WM
Maik Gühmann war schon immer ein Kämpfer – auf dem Tennisplatz, im Fußballstadion, im Squashcourt und im Leben. „Wenn ich etwas mache, dann immer zu 100 Prozent“, sagt der 54-Jährige, der im September an den Tischtennis-Weltmeisterschaften teilnehmen möchte – trotz Handicap und obwohl er erst knapp ein Jahr am „Tisch“ steht. Zu verdanken hat der ehrgeizige Ausnahme-Athlet das seinem Talent und seinem Verein, der TTG Hamburg-Nord, der ihm größtmögliche Unterstützung gewährt.
Sportliche Gegner zu bezwingen, ist eines, aber der größte Feind, der Gühmann täglich herausfordert, lauert in seinem Körper. Vor 14 Jahren wurde Morbus Parkinson bei dem gebürtigen Niedersachsen diagnostiziert – da war der Familienvater erst 40 Jahre alt. Die Krankheit gilt als unheilbar, da bisher aus ungeklärter Ursache Nervenzellen im Gehirn zugrunde gehen. Sie produzieren den Botenstoff Dopamin, der eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Bewegungen spielt und bei Parkinson-Patienten fehlt. Typische Symptome sind steife Muskeln, Zittern und verlangsamte Bewegungen bis hin zum „Freezing“, bei dem die Füße am Boden „festkleben“.
So war es auch bei Maik Gühmann. „Sieben Jahre schluckte ich jeden Tag 40 Tabletten, dann war ich austherapiert und stand vor der Wahl: Operation oder fünf Jahre maximale Lebenserwartung.“ Er entschied sich für Option eins. Um möglichst fit zu bleiben, fuhr der Sportenthusiast jeden Tag im Rollstuhl an einen See und schwamm 1000 Meter. Der chirurgische Eingriff mit 15 Ärzten am Universitätskrankenhaus Eppendorf dauerte 19 Stunden. Zwei Elektroden wurden tief im Gehirn platziert. Mit 48 Kabeln sind sie an einen Stimulator im Brustbereich angeschlossen, über den die Krankheitssymptome per Smartphone-Steuerung zielgerichtet unterdrückt werden können.
„Seitdem habe ich wieder mehr Lebensqualität und neue Energie“, sagt Gühmann, der zudem mit dem Umzug Ende 2019 einen privaten Neustart in Lemsahl wagte. Wo ist der nächste Sportverein?, war für ihn eine der wichtigsten Fragen. Fündig wurde er bei der TTG Hamburg-Nord, einer Tischtennis-Spielgemeinschaft von TSV DUWO 08, Lemsahler SV und SV Bergstedt. Dort haben nicht nur ambitionierte Wettkampfspieler ihre sportliche Heimat, sondern auch Freizeitspieler und Einsteiger. „Das orangefarbene Englischbuch als Schlägerersatz und auf dem Pausenhof Runde spielen, das war bis dato meine Tischtennis-Erfahrung“, erinnert sich Maik Gühmann. Trotz seiner Krankheit hatte er weder Gefühl noch das „Auge“ für den Ball verloren und sofort leidenschaftlich Spaß an dem koordinativ anspruchsvollen Sport. „Maik hat sich von Beginn an spielerisch sowie menschlich hervorragend in die Gemeinschaft eingefügt, geht beeindruckend offen mit seinem Handicap um und bereichert unseren Verein ungemein“, sagt Trainer Maximilian Merse von der TTG Hamburg-Nord.
Rund 400000 Menschen leiden in Deutschland an Parkinson – oftmals in selbstgewählter Isolation. Doch neue Studien belegen, dass Tischtennis als wirksame Physiotherapie zur Linderung von Parkinson-Symptomen gilt. „Aus diesem Grund planen wir eine inklusive Sportgruppe, um Betroffene zu ermutigen, durch Tischtennisspielen wieder aktiv und mit Freude an der Gesellschaft teilzunehmen“, so Merse.
Bei Recherchen zum Thema stieß Trainerkollege Jan Rüssmann auch auf die „Parkinson World Table Tennis Championships“ (PWTTC). 130 gehandicapte Sportler aus 25 Ländern werden vom 9. bis 11. September in Berlin zum zweiten Mal die Weltmeistertitel ausspielen – und einen Startplatz könnte Maik Gühmann erhalten. „Als Verein möchten wir Maik die Teilnahme ermöglichen und seine Vorbereitung unterstützen. Über Social Media wird es eine Video-Dokumentation geben, die Maiks Krankengeschichte, seinen Umgang mit Parkinson und seine sportliche Entwicklung zeigt“, erzählt Maximilian Merse. „Mit dem Projekt erhoffen wir uns eine höhere Aufmerksamkeit für die Parkinson-Krankheit und haben für die Umsetzung eine Spendenaktion gestartet mit dem Ziel, bis zum 31. Juli 5000 Euro für Teilnahme-, Reise-, Hotel- und Verpflegungskosten für den Sportler und einen Betreuer sowie für technisches Equipment zusammenzubekommen.“ Außerdem soll das Geld in den Aufbau der Reha-Gruppe fließen.
Maik Gühmann will kein Mitleid, sondern am liebsten aufs Podest – dafür tut er alles. „Im Winter habe ich bei nur drei Grad auf der Terrasse mit einem Ballroboter trainiert und bin regelmäßig nach Berlin gefahren, um mich von Bundesliga-Profi Hartmut Lohse technisch fit machen zu lassen.“ Nachdem die Hallen wieder geöffnet sind, kommt er fast täglich zum Training in die Grundschule Lemsahl. Zum „Warmspielen“ für die WM stehen zuvor noch die Deutschen Meisterschaften in Nordhorn an – dann soll es für den Kämpfer nach Berlin gehen. Seine Taktik: Attacke – im Leben wie an der Tischtennisplatte.
Claudia Blume