Rundblick

27. Juni 2022

Drohnen retten Rehkitze vor dem Mähtod

Verein aus Landwirten und Jägern setzt sich aktiv für den Tierschutz ein

Zwei bis drei Mal pro Woche klingelt für Tanja Radinger der Wecker mitten in der Nacht, bereits kurz nach drei Uhr, denn die Wakendorferin hat eine Mission: Rehkitze retten. Zusammen mit 50 Gleichgesinnten engagiert sie sich für den Schutz des Rehnachwuchses, der in der Zeit der Heumahd besonders gefährdet ist.

Zwischen Anfang Mai und Ende Juni bringen die Rehmütter, Ricken genannt, ihre Kitze zur Welt und legen sie zum Ausruhen und Schlafen bevorzugt im hohen Gras ab. Doch in dieser Zeit machen die Landwirte auch Heu für Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen. Weil die nur wenige Tage alten Rehkitze noch kein Fluchtverhalten haben und sich bei Geräuschen ducken, statt zu fliehen, sterben unzählige von ihnen den qualvollen Tod durch die scharfen Messer der Mähmaschinen.

Obwohl die Wiesen zuvor abgegangen und mit Unruhe stiftenden Flatterbändern versehen wurden, hat Landwirtin Anke Neumann beim Mähen selbst leidvolle Erfahrungen gemacht: „Die durchdringenden Schreie der verletzten Tiere gehen einem durch Mark und Bein – so etwas vergisst man nie.“ Für sie steht fest: Nur aus der Luft sind Ortung und Bergung wirklich effektiv. Deshalb initiierte sie den im vergangenen Jahr gegründeten Verein „Rehkitzrettung Wakendorf II“, der mit Drohnen und Wärmebild-
kameras gut versteckte Jungtiere aufspürt – und das meistens eben in aller Herrgottsfrühe.

„Der Boden darf nicht von der Sonne aufgeheizt sein, da sonst auf dem Wärmebild keine Kontraste zu sehen sein und jeder Maulwurfshügel wie ein liegendes Rehkitz erscheinen würde“, erklärt Daniel Vandrey, einer von vier Vereinsmitgliedern, die extra einen Drohnenführerschein gemacht haben. In 50 Metern Höhe überfliegt er mit 18 Stundenkilometern die vorab kartierten Felder. Rund sieben Minuten braucht er für 3,7 Hektar, dann muss der Akku gewechselt werden.

Ist ein Kitz entdeckt, kommt der Einsatz für Helfer wie Tanja Radinger. Eilig geht sie durch kniehohes Gras zum Fundort, greift das Tier behutsam mit Handschuhen und ein paar Grasbüscheln und sichert
es am Feldrand unter einem umgedrehten Korb, der mit Gras bedeckt und einer Markierung versehen wird. „Und manchmal hilft nur ein beherzter Hechtsprung mit einem großen Kescher, um die etwas älteren Kitze ‚dingfest‘ zu machen“, erzählt die 49-Jährige und lacht. „Wichtig ist, sie niemals mit bloßen Händen anzufassen, da die Ricke ihr Junges später nicht mehr annehmen würde.“ Das hat Tanja Radinger von Dirk Schack gelernt, dem zweiten Vereinsvorsitzenden und Jäger.

Ist ein Feld „kitzfrei“, wird der Landwirt per Handy informiert, damit er umgehend mit dem Mähen beginnen kann. Er oder Vereinsmitglieder entlassen die Bambis später in die Freiheit. Durch Rufe finden Mütter und Kinder wieder zueinander.

„Den kleinen, hilflosen Wesen ihr Leben zu sichern, ist eine Herzenssache für mich“, betont Tanja Radinger, die kurzerhand einen Rummikub-Abend absagt, wenn in der WhatsApp-Gruppe des Vereins gefragt wird, wer am nächsten Morgen auf die „Pirsch“ gehen könnte – ihre Kartenfreundinnen haben volles Verständnis.

Zwei Drohnen für jeweils rund 8000 Euro hat der junge Verein mit Unterstützung durch Bundesmittel, Spenden und Vereinsbeiträge angeschafft. Und obwohl noch 2500 Euro offen sind, planen die engagierten Mitglieder den Kauf eines weiteren Quadrokopters, zusätzlicher Bildschirme und Akkus, weil der Bedarf groß ist und nicht nur 74 Felder auf 300 Hektar der acht örtlichen Landwirte abgesucht, sondern die Rehretter auch immer öfter aus umliegenden Nachbargemeinden angefragt werden. „Deshalb würden wir uns sehr über die Unterstützung durch Spenden sowie über neue Vereinsmitglieder freuen“, sagt Anke Neumann.

Das nächtliche Engagement rund um Wakendorf zahlt sich aus: Alleine im Mai konnten 50 Kitze gerettet werden. Und für Tanja Radinger, deren Arbeitsalltag um neun Uhr im Büro beginnt, ist jeder erfolgreiche Einsatz ein toller Start in den Tag und „ich bin total glücklich.“

Claudia Blume

 

 

Tanja Radinger sichert ein wenige Tage altes Rehkitz.

 

Daniel Vandrey ist einer von vier Drohnenpiloten des Vereins.

 

Ein roter Punkt auf dem linken Wärmebild zeigt an, dass dort etwas „Verdächtiges“ liegt – dieses Mal ein Hase.

 

Landwirtin Anke Neumann (r.) sorgt mit Vereinsmitgliedern – darunter Wakendorfs Bürgermeister Jens Dürkop (2.v.l.) – aktiv für Tierschutz.

 

Unter grasbedeckten Körben und mit Markierungen versehen, wird der Rehnachwuchs gesichert.