Neuer Verein rettet Rehkitze vor dem grausamen Mähtod
Tangstedter setzten sich aktiv für den Tierschutz ein
Für den Nachwuchs vieler Wildtiere beginnt im Frühjahr eine lebensgefährliche Zeit. Zwischen Ende April und Ende Juni bringen Rehe ihre Kitze zur Welt, legen sie gern im hohen Gras ab und kommen nur zum Säugen zurück. Doch zur selben Zeit steht bei den Landwirten auch die erste Wiesenmahd an, um Heu für Pferde, Rinder und Schafe zu machen. Die neugeborenen Rehkinder haben noch kein Fluchtverhalten, sie ducken sich instinktiv dicht an den Boden und sind nicht zu sehen. Viele von ihnen geraten deshalb unter die scharfen Messer der Mähmaschinen – sie werden oft verstümmelt und sterben einen qualvollen, langsamen Tod.
In immer mehr Gemeinden sind Vereine aktiv, die Wiesen in Absprache mit den Landwirten zuvor mit Drohnen und hochauflösenden Wärmekameras abfliegen, gefährdete Wildtiere orten, sichern und nach dem Abmähen wieder in die Freiheit entlassen.
Seit Karfreitag gibt es auch den Verein Rehkitzrettung Tangstedt. „Bisher haben wir erfolgreich mit der Rehkitzrettung Wakendorf II zusammengearbeitet, die jedoch wegen erfreulich großer Nachfrage inzwischen keine Kapazitäten mehr hat. Deshalb haben wir kurzerhand für unser Dorf einen eigenen Verein gegründet“, erklärt die 1. Vorsitzende Marte Sach, die mit ihrem Mann Sönke Meier im Ortsteil Wilstedt eine Landwirtschaft unter anderem mit 60 Hektar Grünland betreibt.
Der junge Verein geht mit 26 ehrenamtlichen Mitgliedern an den Start, darunter Landwirte und Jäger. Mit dabei ist auch Manfred Kraski, der 19 Jahre als Gitarrist mit der Hamburger Kultband „The Rattles“ auf vielen Bühnen stand. „Ich wollte mich im Tierschutz engagieren und Leben zu retten, ist doch eine wundervolle Aufgabe“, sagt der 70-Jährige. Dafür hat er eigens den Drohnenführerschein gemacht, ebenso wie Niels Hass. Der Norderstedter hat sich zudem für 2500 Euro einen gebrauchten Hexakopter zugelegt, um aus der Luft hilflose Tierkinder zu orten und die „Läufer“ zum Fundort schicken zu können. „Ich freue mich schon auf den ersten echten Einsatz, denn bisher haben wir nur mit Flaschen geübt, die mit warmem Wasser gefüllten waren“, berichtet der 64-Jährige.
Dass sie künftig zwischen vier und acht Uhr unterwegs sein wird, einer Zeit, in der andere Menschen tief und fest schlafen, stört Helke Kattner nicht. „Ich bin ein Morgenmensch und freue mich auf einzigartige Naturerlebnisse im Sonnenaufgang“, versichert die Tangstedterin. Nur in aller Frühe sind Boden und Maulwurfshügel noch nicht von der Sonne aufgeheizt und deshalb auf der Wärmebildkamera deutlich Kontraste zu sehen.
„Für Landwirte kostet unser Service 30 Euro pro Jahr plus einen Euro pro Hektar. Dadurch hoffen wir, auch die Skeptiker mit ins Boot zu holen. Es darf einfach keine Landwirte geben, die etwa aus Zeitgründen oder Nachlässigkeit keine Maßnahmen für den Tierschutz anwenden, zumal sie gesetzlich dazu verpflichtet sind und bei Vergehen hohe Strafen drohen“, betont Marte Sach. Sie selbst war im vergangenen Jahr sieben Mal auf „Kitz-Jagd“. „Ich bin zwar ein nüchterner Mensch, aber diesen hilflosen Wesen das Weiterleben ermöglichen zu können, das macht etwas mit einem“, gesteht die Grafikerin.
2023 hat der Wakendorfer Nachbarverein auf 825 Hektar 149 Kitze vor dem brutalen Mähtod gerettet, hinzu kamen zahlreiche Junghasen sowie Gelege etwa vom Brachvogel. „Wir hoffen ebenso viele Wildtiere retten zu können. Dafür benötigen wir aber noch etliche Helfer und Piloten. Je mehr wir sind, desto seltener kommt der Einzelne zum Einsatz“, sagt Dörte Trau. Sie ist Jägerin und führt in Tangstedt mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 100 Hektar Grünland.
Nicht nur tatkräftige Hilfe wird benötigt, sondern auch finanzielle. Zum einen sollen private Drohnen, wie die von Niels Hass, vom Verein angekauft werden, zum anderen müssen wegen einer EU-Gesetzesänderung im kommenden Jahr neue Fluggeräte mit einem funkbasierten Kennzeichen beschafft werden – Kostenpunkt: rund 7000 Euro pro Stück. „Wir freuen uns über jedes neue Mitglied, Spender und Sponsoren, die uns bei der lebenswichtigen Arbeit helfen“, bekräftigt Marte Sach.
Claudia Blume