Natur & Umwelt

1. Oktober 2024

Hier darf gemeckert werden

Leonie Möck (24) aus Tangstedt unterstützt Matthias Jacobsen bei den tierischen Angeboten.

Leonie Möck (24) aus Tangstedt unterstützt Matthias Jacobsen bei den tierischen Angeboten.

Ziegenwanderungen, Kuschelzeiten und Kindergeburtstage auf historischem Grund

Thea, Heidrun und Lenchen sind nicht nur Meisterinnen im Zuhören, sondern vermitteln Entspannung pur. Wer die sanften Ziegen-Damen in ihrem Gehege bei Bargfeld-Stegen besucht, ihr weiches Fell streichelt und striegelt, vergisst schnell jeden Alltagsstress. Und wer mit der kleinen Herde einen gemütlichen Spaziergang rund um die Reste der historischen Burg Stegen macht, bekommt ein neues Verständnis für Zeit, lernt Flora und Fauna am Wegesrand kennen und tankt im tierischen Kurzurlaub auf.

Die Idee dazu hatte Matthias Jacobsen. „Ziegen wirken enorm entschleunigend. Sie laufen den größten Teil der Tour frei mit, geben das Tempo vor und wir gehen mit. Ab und zu naschen sie am Wegesrand und wir sehen beim Warten Pflanzen und Tiere, die wir sonst nicht wahrgenommen hätten. Das tut einfach der Seele gut“, sagt der 61-Jährige. Als ausgebildeter Natur- und Landschaftsführer liegt es ihm am Herzen, Interesse und Naturbewusstsein zu wecken und zu stärken – vor allem bei Kindern. „Denn nur, was sie frühzeitig kennengelernt haben, können sie später auch schützen.“ Über Tiere erfolge der Zugang einfacher, weiß der gebürtige Hamburger, der sich in tiergestützter Intervention weitergebildet hat.

Bis vor Kurzem lebte Matthias Jacobsen mit seinen Vierbeinern auf der Nordseeinsel Sylt und hatte das Naturschutzgebiet Baakdeel bei Rantum in Obhut, in dem er für Urlauber Führungen anbot. In Ziegenbegleitung ging es sogar an den Strand; das begeisterte vor allem Familien mit Kindern.

Und warum ausgerechnet Ziegen? „Sie sind neugierig, schlau, sehr sensibel und verschmust; sie beißen nicht und schlagen nicht aus. Sie sind einfach nur liebenswert“, schwärmt Jacobsen, „zudem ist die Ziege nach dem Hund das älteste Haustier des Menschen und begleitet uns seit über 10000 Jahren. Ein Leben ohne Ziege war und ist einfach unmöglich.“

Nun also zeigt der studierte Landwirt interessierten Besuchern unter anderem die wilde Landschaft rund um Bargfeld-Stegen. Und zu sehen, gibt es auf dem rund vier Kilometer langen Rundweg eine Menge: Kraniche, Störche, Rotmilan, seltene Neuntöter und noch seltenere Blaukehlchen. Jacobsen weiß auch, wo die faszinierende Nessel-Seide vorkommt, ein Gewächs, das ohne Wurzeln und Blätter existiert und blasse Blüten wie kleine Totenköpfe bildet. In einer Schachtel präsentiert er ein paar bizarre Süßwasserschwämme aus dem nahen Alsterlauf: „Die sind hunderte Millionen Jahre alt!“

Die sechs Monate alte Sina kann schon einige Kunststücke und balanciert gerne auf den Schultern ihres Besitzers.

Die sechs Monate alte Sina kann schon einige Kunststücke und balanciert gerne auf den Schultern ihres Besitzers.

Als die Gemeinde beschlossen hatte, einen Kultur- und Erlebnisraum rund um die Burganlage Stegen einzurichten, suchte sie nach vierbeinigen Landschaftspflegern. „Thea, Wiesel, Heidrun und ihr Nachwuchs haben sich beworben und den Job bekommen“, freut sich der Herr der Ziegen. Auf 4000 Quadratmetern halten sie erfolgreich Knöterich, Brombeeren, Weide und Brennnesseln in Schach, die die historische Stätte wieder zu überwuchern drohen.
1320 hatte der Raubritter Johann von Hummersbüttel an der Alten Alster auf vier Hügeln eine Festung samt Wassergraben anlegen lassen, die sogar Belagerungen standhielt, aber nach Machtstreitigkeiten 1348 geschleift wurde. 1899 fanden erste Untersuchungen an einer der größten Turmhügelburgen Schleswig-Holsteins statt. 2019 nahmen Forscher der Universitäten Greifswald und Göttingen Grabungen vor, bei denen Alltagsgegenstände wie Keramik und Zeugnisse kämpferischer Auseinandersetzungen wie Armbrustbolzen zutage kamen.

Nach dem Abschluss der Arbeiten hat die Gemeinde das Areal in diesem Frühjahr für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, Info-Tafeln aufgestellt und die Einweihung mit einem zünftigen Mittelalterfest gefeiert. Mitten in den Resten der historischen Burganlage leben nun acht dänische Landrasse-Ziegen, deren Art vom Aussterben bedroht ist. „Dank ihrer feinen Unterwolle ist es die einzige ‚winterfeste‘ Rasse, die sehr robust ist und das ganze Jahr draußen bleiben kann“, erklärt Jacobsen.

Damit kleine und große Menschen die Schätze der Natur entdecken können, bietet er an den Wochenenden nach Absprache Ziegenspaziergänge an – er nennt es „Zotteln mit Ziegen“, wobei zotteln für bummeln und gemütliches Gehen steht – Stichwort: Entschleunigung. Und Kinder, die anfangs häufig Respekt vor den stabilen Hörnern hätten, würden im Laufe der Zeit mutig und selbstbewusst, bilden mit den Ziegen Teams und erforschen auf diese Weise spielerisch die Natur (Kosten: Erwachsene 17,50 Euro, Kinder zehn Euro).

Wer auf Tuchfühlung mit den Ziegen kommen möchte, kann die einstündige „Meckerzeit“ buchen (zehn Euro pro Person), in der die sanften Tiere gefüttert, gestriegelt, beschmust und geführt werden – selbstverständlich hören die sich geduldig auch das „Gemecker“ der Zweibeiner an.

Außerdem bietet Jacobsen auch Kindergeburtstage für Mädchen und Jungs ab sechs Jahren mit Spiel, Spaß und einem Quiz rund um und mit seinen Ziegen an (Kosten: zehn Euro pro Kind). „Besonders schön war eine Geburtstagsfeier, bei der ich zum Schluss mit drei Mädchen auf dem Stalldach saß und wir uns mit verteilten Rollen Ziegengeschichten erzählt haben.“ Auch eine naturkundliche Wanderung mit Angestellten der Hamburger Uni als Geburtstagsgeschenk für ihre Kollegin bleibt ihm im Gedächtnis – „die hatten ein wahnsinniges Interesse und botanische Kenntnisse, das war ein intensiver Nachmittag.“

Die unaufdringliche Neugier der Tiere, die Ruhe und Geduld sowie die weite Landschaft würde jede Veranstaltung einzigartig machen und alle Besucher bezaubern.

Für die kommende Zeit hat Matthias Jacobsen viele Ideen: Laternelaufen, Kastaniensuche, ein Agility-Parcours mit verschiedenen Aufgaben und ab dem Frühjahr wieder Melkkurse, bei dem Klein und Groß die richtigen Handgriffe lernen, um aus der gutmütigen Ziegendame Thea – entspannt auf einem Picknicktisch stehend – Milch zu gewinnen, die vor Ort zu Frischkäse verarbeitet wird.

Claudia Blume