Das ArztMobil für Obdachlose
Medizinische Hilfe auf der Straße
Als ob der Alltag eines Obdachlosen nicht schon hart genug wäre. Die Corona-Krise hat die Situation zahlreicher Wohnungsloser weiter verschärft.
Während viele Menschen ausgelöst durch angeordnete Kontaktbeschränkungen ihre Arbeit im Homeoffice verrichten, können sich wohnungslose Menschen nicht so einfach aus dem Alltagsleben zurückziehen. Auch die Kontaktreduzierung gestaltet sich bei einem Leben auf der Straße sehr schwierig. Ähnlich ist die Situation in den Gemeinschaftsunterkünften. Die Minimierung der Übertragungsgefahr gleicht einer großen Herausforderung. So gesehen werden Obdachlose in der Hochrisikogruppe eingestuft. Und es sind genau diese Menschen, die häufig von der üblichen Regelversorgung abgeschnitten sind; sie haben kaum Chancen auf eine adäquate medizinische Versorgung – ob aufgrund fehlender Krankenversicherung oder der Scham Arztpraxen aufzusuchen. In den meisten Fällen handelt es sich um chronisch oder akut kranke Menschen, denen ohne medizinische Versorgung schwerwiegende gesundheitliche Folgen drohen können. An dieser Stelle greift das Team vom ArztMobil Hamburg ein. Es ist ein medizinisches Projekt, das sich auf ehrenamtlicher Basis um Menschen kümmert. „Wir behandeln jeden, der Hilfe benötigt, kostenfrei, respektvoll und immer auf Augenhöhe – ohne Nachweis von Krankenversicherung und Personalien und unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Lebensweise“, sagt Geschäftsführerin Julia Herrmann. Solidarität und Einsatz sind vor allem in Corona-Zeiten enorm wichtig. Aus Sorge um die Helfenden schlossen viele Hilfsangebote in der ersten Pandemiewelle ihre Türen. Für Obdachlose ein echtes Problem, da sie sich nicht so einfach mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln eindecken können. Hinzu kommt eine wenig belebte Innenstadtlage, durch die Einnahmequellen stagnieren oder ganz ausbleiben. „Erst Mitte Juni 2020 öffneten die Projekte wieder unter Schutzauflagen. Seitdem hat sich die Situation für Menschen, die auf der Straße leben, insofern ,,verbessert“, dass sie Beratungsangebote annehmen können und Zugang zu Duschmöglichkeiten haben“, so Julia Herrmann.
Es wandern vor allem viele Menschen aus Osteuropa nach Deutschland ein. Oft scheitern Sie bei der Arbeitsplatzsuche und leben auf der Straße. Die Ursachen, die in Obdachlosigkeit führen, sind vielschichtig: Arbeitslosigkeit, Armut, Migration, Trennung oder Scheidung, Alkohol- oder Drogensucht. „Auch die mangelnde Betreuung von Menschen, die aus Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, Gefängnissen oder anderen öffentlichen Einrichtungen entlassen werden, gehören zur Gefahrengruppe“, betont Julia Herrmann.
Zunächst haben sich Mitarbeiter mit nur beschränkter medizinischer Ausrüstung zu Fuß aufgemacht, um buchstäblich Nothilfe vor Ort zu leisten. Behandelt wurde auf der Straße, in Hauseingängen, auf Motorhauben. „Seit Anfang 2017 verfügen wir über ein spendenfinanziertes Fahrzeug, unsere ‚Ellen‘, mit der wir gezielt Standorte anfahren, die den Hilfesuchenden inzwischen bekannt und hoch frequentiert sind. ‚Ellen‘ ist ein ausrangiertes Maskenmobil, das früher für Film-und Fernsehaufnahmen genutzt wurde und uns in den ersten zwei Jahren als mobile Praxis gedient hat“, erzählt Julia Herrmann.
Das Team vom ArztMobil, das zwischenzeitlich auf 30 ehrenamtlich Tätige herangewachsen ist, weiß um die Problematiken, mit denen sich Obdachlose tagtäglich konfrontiert sehen. Die Angst vor Ansteckung, Unterversorgung, Sucht oder wenig Geld beherrscht deren Alltag. Hinzu kommt, dass vertraute Strukturen und soziale Kontakte einbrechen, weil Restaurants, Bars oder Kaffeehäuser geschlossen sind. Für Julia Herrmann und ihr Team hat die Versorgung der Menschen, die es nötig haben, oberste Priorität. 2018 hat das Hamburger Spendenparlament eine großzügige Spende geleistet, mit der ein neues Arztmobil realisiert werden konnte. „Lola“ wurde nach den Wünschen des Teams ausgebaut und ist seit August 2019 im Einsatz. Im Dezember 2019 gesellte sich „Rudi“ dazu, ein von der Mackprang-Stiftung finanzierter Citroën Berlingo, der die tägliche Arbeit (Spenden abholen, Obst, Wasser, Nahrungsmittel transportieren) erheblich erleichtert. Das Hilfsangebot wird gut und mit sehr viel Dankbarkeit angenommen. „Die Patientenanzahl , die das ArztMobil in Anspruch nimmt, ist gestiegen. 2020 haben wir mit 3092 Patienten 1000 Menschen mehr als 2019 versorgt“, berichtet Julia Herrmann.
Möchten Sie das ArztMobil unterstützen? Zurzeit werden FFP2-Masken am dringendsten benötigt, da diese direkt an die Patienten ausgegeben werden. Weiterhin freut sich das ArztMobil über ärztliche Unterstützung. Spenden werden gerne angenommen.
Sechs Dinge, die Sie tun können, um Obdachlosen zu helfen:
– Zeigen Sie Empathie
– Distanzieren Sie sich von Vorurteilen
– Holen Sie Hilfe
– Spenden Sie überlegt
– Suchen Sie sich ein Spendenprojekt
Anja Junghans-Demtröder