Die Region Oberalster hilf der Ukraine
Der Krieg in der Ukraine macht nach wie vor fassungslos, die Bilder aus umkämpften Städten und Dörfern sind erschütternd. Viele Menschen in Deutschland haben den Wunsch zu helfen – und das so schnell und unbürokratisch wie möglich. Überall entstanden in den vergangenen Wochen Initiativen freiwilliger, ehrenamtlicher Helfer, die Zeit und Muskelkraft investieren, um Ukrainern in deren Heimatland oder nach ihrer Flucht in Deutschland mit Sachspenden sowie Unterkünften zu unterstützen.
Thorsten Köppen war einer der ersten, die in der Region Oberalster ohne Wenn und Aber anpackte. „Ich saß in den ersten Kriegstagen stundenlang vor dem Fernseher und wusste sofort, dass ich angesichts der grauenvollen Berichte aktiv werden musste“, erinnert sich der Lemsahler. Über eine WhatsApp-Nachbarschaftsgruppe bat er spontan um Spenden, Kleidung, Hygieneartikel und Spielzeug, um alles mit dem eigenen Fahrzeug an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen. Dass in wenigen Wochen aus seiner Privatinitiative ein riesiges Netzwerk mit tausenden Beteiligten werden würde, hatte sich Köppen nicht vorstellen können. – „die Sache ist quasi explodiert.“
Täglich standen neue, tatkräftige Helfer vor seiner Tür und die Garage platzte angesichts zunehmender Hilfsgüter aus allen Nähten. „Dass wir den leerstehenden Gasthof Kröger kostenlos als Lager und für die Erstausstattung geflüchteter Menschen nutzen dürfen, ist eine riesige, logistische Erleichterung“, freut sich der selbständige Geschäftsmann. Sechs Wochen kümmerte er sich ausschließlich um seine Initiative „Hamburg hilft Ukraine“ und verzichtete auf lukrative Aufträge – „rund 16000 Euro sind mir entgangen, aber das war und ist die Sache wert.“
Inzwischen gibt es über Hundert engagierte Helfer aus vielen verschiedenen Stadtteilen, über 2000 Mitglieder sind per Facebook dabei, eine Gastgeber-/Wohnungsbörse wird aufgebaut, erfolgreiche Kinderrucksack- und Schulranzenaktionen laufen und bereits vier Mal ging es mit immer größeren Hilfskonvois nicht nur an die ukrainische Grenze, sondern auch direkt ins Land hinein. „Was wir gemeinsam auf die Beine gestellt haben, überrascht uns immer noch und zeigt, dass es geht, wenn man will“, so Köppen. Um längerfristig helfen zu können, hat er mit einigen Mitstreitern am 19. April den Verein „Hamburg hilft“ gegründet. Spätestens Mitte Mai benötigen die engagierten Helfer für vorerst drei Monate dringend einen neuen Lagerraum mit mindestens 200 Quadratmetern, am besten in der näheren Umgebung. Wer eine Immobilie zur Verfügung stellen kann, meldet sich bitte unter Tel. 0157/338 937 66 oder per Mail unter hamburghilftukraine@web.de.
Auch für die Duvenstedterin Katja Kröger stand mit Kriegsbeginn sofort fest, dass sie konkrete, selbstlose Hilfe anbieten will: Ihr Hotel „Alster Au“ sollte zur kostenlosen Übergangs-Unterkunft für geflüchtete Ukrainer werden. Über einen Berliner Rotary Club bekam die 47-Jährige Kontakt zu acht Familien mit 25 Personen, die erschöpft nach langen, angsterfüllten Reisen durch das Kriegsgebiet im idyllisch gelegenen Reetdachanwesen ankamen. Dort konnten sie über Wochen zu Kräften kommen und Perspektiven entwickeln. Für alle Gäste – und 25 weitere Ukrainer – hat Katja Kröger inzwischen längerfristige Unterkünfte gefunden – hauptsächlich bei Privatpersonen in den Walddörfern. „Ich habe mein großes Netzwerk angezapft und bei der Suche nach Wohnraum große Solidarität erfahren. Viele Hausbesitzer haben mehr Platz, als sie benötigen, zudem gibt es oftmals leerstehende Einliegerwohnungen, die nun mit Leben gefüllt werden konnten“, so die Hotelinhaberin. In der Regel eine Win-win-Situation etwa für einen 80-Jährigen, der „gestand“, im Herzen immer noch Hippie zu sein und begeistert ist, wieder in einer WG zu leben, oder für ein junges Paar, das überglücklich mit „seiner“ ukrainischen Babuschka ist, die täglich allerlei Köstlichkeiten auf den Esstisch zaubert. Auch wenn ihre Hotelgäste-auf-Zeit mittlerweile ausgezogen sind, hält Katja Kröger weiterhin Verbindung, knüpft Kontakte, damit die Integration schnell gelingt und vermittelt Vorstellungsgespräche für mögliche Jobs: „Es ist eine Herzensangelegenheit, die mich mit Freude erfüllt.“
Mit Ausbruch des Krieges begann auch im Hotel-Restaurant „Tangstedter Mühle“ eine andere Zeitrechnung. „Wir haben dem Amt Itzstedt sofort unsere 18 Zimmer für die Unterbringung geflüchteter Ukrainer angeboten“, sagt Philipp Riebling, „doch dort war man wegen bürokratischer Richtlinien noch nicht handlungsfähig; eine Vereinbarung kam nicht zustande.“ Kurz darauf mietete ein englischer Geschäftsmann mit ukrainischen Wurzeln, der anonym bleiben möchte, auf eigene Kosten das gesamte Hotel zum reduzierten Preis für zwei Monate, buchte einen Reisebus und am 8. März kamen 47 Ukrainer in Tangstedt an. „Von Anfang an herrschte ein
harmonisches, familiäres Zusammensein. Es braucht nicht viele Worte, um sich in außergewöhnlichen Situationen verständigen zu können“, so Riebling.
Frühstück und Abendessen gibt es im großen Festsaal, für die Mittagsverpflegung sorgt der Landfrauen-Verein. Das Rote Kreuz und ein großer Helferkreis kümmern sich um die Integration im Dorf. „Es herrscht ein Hauch von Normalität; die zunächst gedrückte Stimmung ist gelöster. Die Dankbarkeit ist spürbar und der Wunsch nach Mithilfe etwa bei der Zimmerreinigung.“ Vor allem die Kinder, die mittlerweile in Kita, Schulen und Sportverein gehen, haben sichtlich Freude, spielen im Garten des Hotels und fahren auf dem großen Parkplatz Fahrrad. „Geht es den Kindern gut, geht es auch den Müttern gut“, resümiert Riebling, „dennoch handelt es sich nicht um einen kurzen Ferienaufenthalt – die Menschen brauchen eine Perspektive, auch im Hinblick auf die Wohn- und Arbeitssituation.“
Inzwischen ist die „Tangstedter Mühle“ im positiven Austausch mit dem Amt Itzstedt, das händeringend Unterbringungsmöglichkeiten in der Gemeinde sucht. Es gibt die Idee einer längerfristigen Anmietung des Hotels, das als „Organisationszentrale“ dienen könnte. Über die Kostenübernahme muss der Kreis noch entscheiden. „Bisher zahlen wir in vielen Bereichen drauf, so sind etwa unsere Energiekosten enorm gestiegen, die Müllkosten haben sich um 400 Prozent erhöht und ein Großteil des Personals leistet seit Wochen unentgeltlich ehrenamtliche Mehrarbeit – das ist dauerhaft nicht zu leisten“, betont Philipp Riebling.
Claudia Blume