Wer den Pfennig nicht ehrt…
Neulich lag da mal wieder eines: rotbraun, unscheinbar, wahrscheinlich bereits von vielen übersehen – ein Ein-Cent-Stück. Und ja, ich habe es aufgehoben. Ich kann nicht anders, auch wenn die kupferfarbenen Münzen inzwischen zu den Parias des Zahlungsverkehrs geworden sind.
Numismatiker nennen sie Scheidemünzen, jene Geldstücke, deren eingeprägter Wert niedriger als ihre Material- und Herstellungskosten sind. Sie kosten die ausgebenden Banken also richtig Geld, umso mehr, da sie gerne in Schubladen, Spardosen und anderen Gefäßen gebunkert werden und somit dauernd nachgeprägt werden müssen.
Früher sammelte man Pfennige oder Cents oder für Brautschuhe. Kinder übergaben sie am Weltspartag dem netten Onkel der örtlichen Bank-
filiale, der sie aufmerksam zählte und dem Sparbuch gutschrieb.
Und heute? Filiale und Bankonkel sind inzwischen weitgehend den Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen, Sparbücher vernichten Geld statt Zinsen zu bringen. Banken sehen den Umgang mit Bargeld ohnehin inzwischen als Zumutung an, die man an Automaten delegiert oder mit saftigen Gebühren belegt. Sollte sich trotzdem jemand mit einer Tüte gemischtem Kleingeld in die Filiale wagen, muss das für die Angestellten die Höchststrafe sein, die am besten dem ungeliebten Azubi übertragen wird.
Auch Geschäftsleute im Einzelhandel würden gerne auf Münzen verzichten, die sie jeden Tag zählen und einrollen müssen, obwohl sie kaum zum Umsatz beitragen. Und so manche Kassenkraft würde sich freuen, wenn kein Kunde mehr mit der optimistischen Bemerkung: „Ich glaube, ich habe es passend“, seine gesammelte Scheidemünzensammlung übergibt – insbesondere in Zeiten, in denen auch Kleinstbeträge durch das Wedeln mit Karte, Armbanduhr oder Smartphone beglichen werden können.
Kein Wunder, dass die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen die Abschaffung der Ein- und Zwei-Cent-Münzen erwägt. Einfach alle Beträge auf- oder abrunden, im Großen und Ganzen werde sich das schon ausgleichen, so lautet die Idee. Mehrere EU-Länder verfahren bereits so. Auch auf der Insel Wangerooge gibt es diese Münzen nicht mehr: Ihr Lufttransport wurde schlichtweg zu teuer.
Also: Weg damit? Das fordert nicht einmal Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann, dessen Institution die Münzen teuer herstellen muss. Kleinmünzen seien ein fester Bestandteil der ausgeprägten Bargeldkultur in Europa, meint er – und wird insbesondere in Deutschland damit Recht haben: So lange die meisten Preisschilder mit 99 enden und Kraftstoffe sogar mit Zehntelcent abgerechnet werden, wird es Leute geben, die auf centgenaues Wechselgeld bestehen.
Ganz ehrlich: Auch ich würde die kleinen Münzen irgendwie vermissen – und sei es nur wegen der Freude, mal wieder einen Glückscent gefunden zu haben.
Wulf Rohwedder